BAG aktuell: Neues zum Günstigkeitsvergleich (Tarifvertrag)
Nicht selten konkurrieren Ansprüche von Arbeitnehmern, die ihren Ursprung in unterschiedlichen Rechtsquellen haben. Solche Anspruchskonkurrenzen müssen aufgelöst werden. Dies erfolgt grundsätzlich nach dem Günstigkeitsprinzip. In der Regel ist die für den Arbeitnehmer günstigere Regelung anzuwenden. Das BAG hatte nur einen Fall zu entscheiden, in dem die konkurrierenden Ansprüche in zwei unterschiedlichen Tarifverträgen geregelt waren. Der Text der Pressemitteilung im Wortlaut:
Die Regelungen eines auf ein Arbeitsverhältnis aufgrund vertraglicher Bezugnahme anwendbaren Tarifvertrags kommen nach dem in § 4 Abs. 3 TVG verankerten Günstigkeitsprinzip nur zum Tragen, soweit sie gegenüber dem kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit geltenden Tarifvertrag für den Arbeitnehmer günstiger sind. Dies ist im Wege des sog. Sachgruppenvergleichs zu ermitteln. Ist nach diesen Maßstäben nicht zweifelsfrei feststellbar, dass die individualvertragliche Regelung für den Arbeitnehmer günstiger ist, verbleibt es bei der zwingenden Geltung der tariflichen Bestimmungen.
Der Kläger, Mitglied der Gewerkschaft ver.di, ist bei der Beklagten beschäftigt. Der Arbeitsvertrag verweist auf die Tarifverträge für die Angestellten/Arbeiter der Deutschen Bundespost TELEKOM (Ost) in ihrer jeweiligen Fassung. 1995 wurde das Arbeitsverhältnis auf die Deutsche Telekom AG (DT AG) übergeleitet. Am 25. Juni 2007 erfolgte ein Betriebsübergang auf die Beklagte. Am selben Tag schloss diese mit der Gewerkschaft ver.di Haustarifverträge ab, die insbesondere hinsichtlich der Arbeitszeiten (Erhöhung der betrieblichen Arbeitszeit von 34 auf 38 Stunden) sowie der Zusammensetzung und Höhe der Vergütung von den bei der DT AG geltenden Tarifverträgen abweichen. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Arbeitszeit- und Entgeltregelungen der letztgenannten Tarifverträge seien mit Stand des letzten Betriebsübergangs aufgrund der vertraglichen Bezugnahme auf sein Arbeitsverhältnis weiter anzuwenden. Diese Bestimmungen seien günstiger als die kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit geltenden Tarifverträge der Beklagten. Er hat deshalb die Beschäftigung mit einer Wochenarbeitszeit von 34 Stunden sowie – für mehrere Monate des Jahres 2011 – insbesondere die Vergütung von wöchentlich vier weiteren Stunden nebst Zuschlägen begehrt.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat der Berufung des Klägers überwiegend stattgegeben. Die Revision der Beklagten vor dem Vierten Senat des Bundesarbeitsgerichts war weitgehend erfolgreich, während die Revision des Klägers zurückzuweisen war. Zwar finden die Tarifverträge der DT AG mit Stand vom 24. Juni 2007 aufgrund der arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel auf das Arbeitsverhältnis der Parteien weiter Anwendung. Deren Arbeitszeit- und Entgeltbestimmungen sind aber im maßgebenden Zeitraum nicht günstiger als die für das Arbeitsverhältnis der Parteien unmittelbar und zwingend geltenden Tarifverträge der Beklagten. Bei dem vorzunehmenden Sachgruppenvergleich können Arbeitszeit und das regelmäßig geschuldete Arbeitsentgelt nicht isoliert betrachtet werden. Sie bilden vielmehr eine einheitliche Sachgruppe. Ändert sich eine der zu vergleichenden Regelungen, ist für den betreffenden Zeitabschnitt ein erneuter Vergleich durchzuführen. Ist danach – wie im Entscheidungsfall – im maßgebenden Zeitraum nach den normativ geltenden Tarifverträgen sowohl die Arbeitszeit länger als auch das dem Arbeitnehmer hierfür zustehende Monatsentgelt höher, ist die einzelvertragliche Regelung nicht zweifelsfrei günstiger iSv. § 4 Abs. 3 TVG.
BundesarbeitsgerichtUrteil vom 15. April 2015 – 4 AZR 587/13 –
Landesarbeitsgericht Berlin-BrandenburgUrteil vom 12. April 2013 – 6 Sa 2000/12 –
Quelle: Pressemitteilung des BAG vom 15. April 2015